Mythos kolloss von rhodos

 

 

Noch vor ihrer Führerscheinprüfung fliegt Lilly drei Wochen nach Griechenland, um sich nach einem 6-Wochen-Sommerkurs auf die theoretische Prüfung vorzubereiten. Gleich nach der Ankunft wandern die beiden teuren und 5 cm-dicken, weiß-blauen Fahrschulmappen in die Schublade des Nachtkästchens. Sie hört Depeche-Mode mit ihrem blauen Walkman, bummelt vom Pool bis in die Altstadt.

 

 

"Dass ich mal in einer Sokrates-Straße sitze...", wundert sich Lilly über ihren Zeitsprung zu großen Philosophen in Rhodos-Stadt, neben vielen Souvenirläden und griechischen Restaurants, die auch alle Rhodos heißen. "Muss man gesehen haben, wo der Koloss von Rhodos stand, oder?". Sie macht sich auf den Weg, um dem angeblich damals 30 Meter hohen, bronzenen Mythos nachzugehen und findet kleine Säulen mit einem Hirsch darauf. Schon als Kind hat Lilly in Büchern über die Weltwunder und dessen Abbildung auf Skizzen bewundert.

 

 

Da nachts der Busfahrer durch ihre Terassentür einsteigt, bekommt sie ein ebenso hübsches Zimmer mit Balkon im ersten Stockwerk. Nach dem Zimmerwechsel macht sie sich mit einer Reisegruppe auf den Weg nach Lindos, um die Treppen zur Akropolis mit Säulen und Tempelresten zu erkunden.

 

 

Bereits 800 Jahre vor Chr. wurde hier schon gebaut. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie Männer in weißen Wallegewändern, vielleicht mit Bärten und Lorbeerkränzen, Speeren oder kleinen Messern am Ledergürtel und griechische Frauen mit geflochtenen Zöpfen und Blumenkörbchen mit Schalen voller Weintrauben und ledernen Sandalen vom Tempel zum Theater spazieren. Sie lässt ihre Gedanken schweifen und stellt sich das so vor, dass im göttlichen Paradies jeder machte, wozu er Talent und Laune hatte.

 

 

Konnte einer mit Natur, Erde und Jahreszeiten umgehen, sorgte er für Früchte, Korn, Gemüse, Salat;  wer ein Feingefühl für Stoffe und Nähen hatte, schneiderte; der Sinn für Haut und Haare hatte, kümmerte sich um Hygiene und Wohlgefühl; die Frauen, die fruchtbar und geduldig mit den Kleinsten waren, übernahmen die Kinderaufzucht, die Größten bauten die Häuser usw.

 

 

Morgens ist sie immer die Erste am Pool, aber diesmal will sie ihr neues Filterset für die Canon-T50, die sie von ihrem Vater bekommen, testen. Die farbig oder sepia in einem Farbverlauf getönten Scheibchen werden mechanisch in eine aufgesteckte Halterung vor der Linse gesteckt. Sie ist die Erste am Strand, lauert auf dem felsigen Hügel über einer kleinen Bucht auf die ersten Sonnenstrahlen, als ihr plötzlich ein junger, blonder Engländer in blauen Shorts vor die Kamera hüpft und ihr erklärt, dass hier eine FKK-Bucht ist. Sie knipst schnell.

 

 

Als sie nach Hause fliegt, weil am nächsten Tag der Prüfungstermin festgesetzt ist, merkt sie dass ihre Unterlagen noch im Nachtkästchen liegen. Sie ruft abends ihren Fahrschul-Lehrer an und der überlässt ihr seine ausgefüllten Ausgaben für die nächsten 18 Stunden, weil sie Lieblingsschülerin seiner Mutter in ihrem letzten Dienstjahr war.