INVESTOREN

 

 

In diesem Marmorpalast im Penthouse des bewachten, himmelhohen Apartmenthaus mitten in Mumbai, weit entfernt vom modernen Skyscraper-Zentrum, dem kilometerbreiten Gürtel aus Herrschafts-Villen im prunkvollen Kolonialstil, der die geschäftstreibende Innenstadt von den Slums in den Randgebieten und den Müllmenschen auf den weiten Meeren von Plastik-, Speisen- und Gummidreck trennt, sitzt Lilly nun als einzige, damals noch katholische Frau am Tisch mit drei Männern in Business-Anzügen, ihrem Begleiter, der ihr vormacht, wie sie wann was tun soll, bei diesem von Personal serviertem Drei-Gänge-Menü, bei dem die blickdicht, schwarz verhüllten Frauen und Schwestern an den Wänden sitzen und nicht sprechen.

 

 

"Man sieht nicht mal, ob ihre Augen offen oder geschlossen sind.", bemerkt Lilly, als sie während freundlichem Dauerlächeln und vornehmer, verbaler Zurückhaltung die delikaten Leckerbissen in ihren Mund schiebt, ohne die Ellenbogen auf die Tischkante zu legen und noch ein paar anderen Dingen, an die sie sich in der hinteren Schublade ihres Gehirnes abgespeicherten Knigge aus dem dicken, goldenen Benimm-Buch erinnert.

 

 

Sie fragt sich, ob sie die versteckten Frauen auch beobachten und ob dass, was sie als Knechtschaft empfindet, für diese Freiheit von Armut und Verstoßung ist, tupft sich die Mundwinkel mit der Stoffserviette, an deren Seiten ein goldener Schriftzug eingestickt ist. Aggression steigt ihre Kehle hoch. Sie erinnert sich daran, was er zu ihr gesagt hat: "Du kannst alles zu mir sagen, aber lächle bitte dabei."

 

 

Um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen, räuspert sie sich, grinst ihn an. Er versteht, der Gastgeber scheinbar auch. Augenblicklich erscheint Personal und räumt ab. Es wird ein Digestif serviert mit Mandelblättchen und dann verschwinden die Stoff-Frauen und die beiden Männer. Die Atmosphäre entspannt sich und sie bewegen sich zu dritt in einen  Raum, der scheinbar als intimeres Besprechungszimmer dient.

 

 

Es ist so stark klimatisiert, dass sich Lillys Nacken kühlt, sie sich entspannt und sich in die angeregte Unterhaltung über Innsbruck, Wien und Salzburg - nun auf Englisch - einbringt. Sie plaudern locker und der Inder schwärmt von seinen Aufenthalten in Österreich, während er sein Sakko über den Sessel mit Messinglehnen hängt, er sich breitbeinig auf das protzige Himmelbett mit Überwurf aus goldenem Satin setzt.

 

 

Lilly entdeckt die Beleuchtung einer weitläufigen Terrasse und möchte glücklich dahinlaufen und die Aussicht bewundern, verkneift es sich aber. Der Inder sieht sie an, öffnet den Tresor hinter sich, wirft von den vielen wandhohen Stapeln Geld zwei Handvoll aufs Bett.

 

 

Andre nickt, bedankt sich, während er diese in seiner Tasche verstaut, zeigt ihr der Investor die Aussicht über die 12,5 Millionenstadt Mumbai mit funkelnden Lichtern und dahinter das dunkle Wasser der Arabischen See. Bei der Rückfahrt guckt sie das Konterfei des Erfinders Franklins aus der Tasche an.