TEXTILFABRIKEN

 

 

"Ein bisschen kommt mir vor, es herrscht auch auf den Straßen Geschlechtertrennung.", wundert sich Lilly darüber, dass keine Familien zusammen zu sehen sind. Entweder kommen ihnen auf der Straße nur Einzelpersonen, Frauen zusammen in ihren farbigen Walle-Kleidern oder Männergruppen entgegen - die Kinder laufen generell alleine und barfuß herum, egal welches Alter. Zwischen Slums und moderner Wolkenkratzer-City hält sich der britische Kolonialstil nicht nur in der Architektur, sondern auch im Kleidungsstil der Inder.

 

 

"Wie die ihre Hemden weiß und die Farben so knallig halten bei dem Straßenstaub?". Sie staunt über Anzüge, Hemden, gut schneiderte Hosen aus Leinen, Ledergürtel und Lederschuhe oder Ledersandalen schützen die empfindliche Haut vor der indischen Sonne, alles ein bisschen im Walle- und Schlabber-Look - wahrscheinlich, weil die meisten hier dünn sind. "Schneidern können die Inder.", staunt Lilly, als sie gedankenverloren durch das Autofenster das bunte und geschäftige Treiben im verwirrenden Straßenlabyrinth beobachtet.

 

 

"Weit und breit keine amerikanischen Jeans zu sehen.". Sie atmet durch und lehnt sich wieder zurück. Andre nutzt die Gelegenheit: "Willst du die Fabrik besichtigen?". Sie schließt kurz die Augen und schüttelt leicht den Kopf, weil sie sich aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen in Indien dagegen sträubt, die NäherInnen auch noch wie Zirkusaffen zu begutachten.

 

 

Oft hört sie davon, wie ganze Fabriken abbrennen und mit ihnen die Arbeiter, aufgrund fehlender Sicherheits- und Feuerschutzvorkehrungen, Kinderarbeit in den Produktionsstätten der Großkonzerne, Frauen, die oft jahrelang wie Sklavinnen ohne Entgelt arbeiten oder in Schuldknechtschaft. Gewerkschaftswesen ist verpönt, dafür Zwangsarbeit für junge Frauen, denen eine Art Mitgift nach Jahren versprochen wird, sie aber aus fadenscheinigen Gründen kurz vor Ablauf gekündigt werden und somit leer ausgehen.

 

 

Zehn bis zwölf Stunden täglich an der Nähmaschine, Schläge, verbale Attacken, sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte, sowie ein Lohn, der bei 9,50 bis 20 Euro im Monat liegt und menschenunwürdig ist - so sieht der Arbeitsalltag in den 7500 Textilfabriken Indiens aus, damit ständig wechselndes Design in den Läden angeboten werden kann. Aus den Schränken kommen die Teile dann bald in den Second-Hand-Laden oder die Kleiderspende und nach Afrika, wo wieder etwas anderes Brauchbares draus hergestellt wird.

 

"Das muss ja in seiner Produktion nicht so sein.", reißt sie sich am Riemen, da er ihr vorgeschwärmt hat, dass er immer wusste, er will Fabrikant werden und etwas Sinnvolles herstellen. "Ja, gern, aber ein anderes Mal, ok?"

 

Er nickt, erklärt begeistert, dass der Unterschied in der Produktion für verschiedene Firmen in der Qualität der verwendeten Knöpfe, Zwirnes, Reißverschlüssen, dem vorgegebenen Design und dem eingenähten Etikett auf dem verwendeten Leder ist, welches oft gleich ist.