FELSENSCHLUCHT

 

 

Reisen mit der Oma macht schon Spaß, vor allem, weil sie hier ´wieder zuhause´ ist. Sie redet mit Fremden, als wären sie Geschwister in ihrer Muttersprache und lebt richtig auf dabei. Es ist alles so aufregend und unterhaltsam, dass sie bei der Anreise in ihren zweiten Ferien mit Lilly und ihrer Schwester bei ihrer Mutter in Pula sogar den vollen Bus warten lässt, weil sie so viel zu plaudern hat. Lilly ist nicht ganz so vergnügt über die Verzögerung, weil sie jetzt auch nicht alleine mit Isabella weiterfahren will zum Busterminal nach Pula.

 

 

Selbst als sie endlich einsteigt, plaudert sie immer noch, doch diesmal mit dem Buschauffeur und den Fahrgästen in den ersten Reihen. Sie steht und steht und steht... Lilly öffnet das Fenster neben ihrer Schwester, überredet sie Plätze zu tauschen, weil sie nicht am Gangplatz sitzen will. Inzwischen wurde im Haus in der Bucht der Halbstock ausgebaut und die Mutter vermietet zwei Zimmer an Feriengäste und eines davon bekommen Lilly und Isabella.

 

 

Die Oma schläft auf dem Tagesbett und so wie sie zuhause mit ihrer Zwillings-Schwester nächtelang auf kroatisch plaudert und lacht, so geschieht es jetzt hier mit der neuen Familie. Lilly frühstückt im Zimmer und spielt mit dem kleinen Hund, der scheinbar neuerdings zum Haus gehört. Klaudio, der Mann der Mutter kommt in Uniform von der Arbeit. Er ist groß, dünn, drahtig und freundlich.

 

 

Am Weg zur Bucht nehmen sie dieses Mal einen anderen Weg über Felsenformationen, die schwierig zu begehen sind - jeder mit seiner eigenen aufgeblasenen Luftmatratze in der Hand. Plötzlich schreit die Oma, die Luftmatratzen fliegen davon und einer fehlt in der Reihe. Klaudio ist weg. Lilly läuft nach vorne. Er ist in eine Schlucht gestürzt, durch die das Meerwasser mit den Wellen immer wieder nach oben kommt und wieder abzieht.

 

 

Alle schreien rundherum, der ganze Strand läuft zusammen. Lilly hat keine Idee, was zu tun ist und versteht nicht was er sagt. Sie sieht, wie er sich mit den Zehen und den Fingerspitzen in den kantigen, aber glitschigen Felsen festkrallt und unter ihm die nächste Welle hochschwemmt. Er schnappt Luft, schließt die Augen und kurz danach zieht das Wasser wieder ab und er ist wieder über Wasser. Lilly beschließt, da sie nichts tun kann, außer sich um ihre Schwester zu kümmern und den Platz am Rande der Unterwasser-Höhle freizugeben für jemanden, der mehr Rat weiß.

 

 

Sie will gar nicht sehen, wie es weitergeht und Isabella soll auch nicht hingucken. Um hochzuspringen oder -klettern hätte er wohl die Kraft und Zähheit, aber durch die Wellen sind die Felsen bemoost und glitschig, wenn er loslässt und sich mitziehen lässt, um durch zu tauchen, weiß man nicht, ob er sich wo den Schädel aufschlägt oder so lange Puste hat, um gegen die Strömung durch- und wieder irgendwo aufzutauchen.

 

 

Wie er rausgekommen ist, weiß sie nicht, jedenfalls ist er mit blutigen Schrammen an Knien, Schienbein, Knöcheln und Ellenbogen wieder da, lächelt  und es wird nicht mehr drüber geredet.