FEURIGE CHEVAPCICI

 

 

 

Bei den jährlichen Sommeraufenthalten in Pula merkt Lilly, wie sie Jahr für Jahr größer wird und zum Beispiel Dinge, wie mit After-Sun-Lotion eingecremt werden nur noch der jüngeren Schwester vorbehalten ist. Es hat sich herumgesprochen, dass es hier Gästezimmer in Haus gibt und die Verwandtschaft kündigt sich an.

 

 

Nun plaudern nicht mehr zwei Damen auf kroatisch die ganze Nacht, wobei die Mutter im dritten Jahr auch schon perfekt kroatisch spricht und mit gackert, sondern die Zwillingsschwester aus Köln mit ihrer reisefreudigen Tochter hat sich dazugesellt.

 

 

Nun geht abends und die ganze Nacht die Post ab und das ganz ohne Alkohol. Bis in die Morgenstunden wird sich hier der Mund fusselig geredet über Gott und die Welt. Schön für Lilly, denn dann ist es Zeit für Rückzug mit ein paar frischen Melonenstücken, um Radio zu hören und in Magazinen zu blättern oder mit der Schwester Karten zu spielen. Die kann inzwischen super schwimmen und das Leben wird wieder ein Stück leichter als große Schwester.  

 

 

"Wem soll ich schreiben, wenn alle hier sind?", fragt sie sich am Bauch auf dem frischen, weißen Laken liegend und einem Kuli in der Hand. Der Besuch hat jedoch den Vorteil, dass ihre weitgereiste Taufpatin exklusiv mit ihr öfter in den nächsten Eissalon in der Altstadt bummelt, Souvenirs durchstöbert und von ihren Reisen erzählt.

 

 

Sie sieht inzwischen so erwachsen aus, dass sich der Kellner im Hotel den üblichen Spaß nicht verkneifen kann, der Mutter die Apfelschorle und Lilly den Wein hinzustellen unter allgemeiner Erheiterung in der Runde. "Keiner fragt, ob man überhaupt erwachsen werden will.", stellt sie fest und als nach dem schicken Abendessen der Pianospieler und Alleinunterhalter einen Song nach dem anderen darbietet, zeigt Klaudio, wie gut er zu ihrer Mutter passt, indem er sie so geschickt auf der Tanzfläche führt, dass sich andere Gäste wieder zurück an die begeben und den beiden den Platz lassen, den sie ein paar Lieder lang brauchen.

 

 

Sie trägt ihr weißes, seidiges Kleid, dass sich perfekt von der tief gebräunten Haut abhebt und mit dem V-Ausschnitt Platz für das goldene Kettchen lässt, der faltige Rock sich bei schnellen Drehungen hochschwingt und man die schönen Beine in goldenen Stilettos sieht. "Das werde ich nie lernen.", weiß Lilly jetzt schon. "Aber sieht gut aus.", freut sie sich stolz.

 

 

Abgesehen von den schönen Hotelrestaurants gibt es auch rustikale Pizzerien oder Grillspezialitäten-Restaurants, wo sie diesen Abend einkehren und sich Lilly Chevapcici bestellt, die extra-scharf serviert werden und dieses Feuer noch am Rachen mit sich trägt, als sie alle zusammen nachts unterm Vollmond auf der Küstenstraße nach Hause spazieren, wo von der Straßenlampe plötzlich etwas im Sturzflug auf sie flattert und sich in ihren langen, braunen Haaren am Oberkopf verfängt. "Waaaahhh! Was ist das???", schreit sie laut, versucht wegzulaufen, aber das Ding ist in den Haaren verfangen. "Eine Fledermaus.", lacht die Oma.