KÜSTENDUFT

 

 

Der Bus fährt ein wenig bergab auf der Küstenstraße, die sehr erhaben den Berg entlang Richtung Pula führt. Lilly ist schon übel - zum Glück sind die oberen Teile der Fenster geöffnet, deren dunkelblaue Vorhänge aus dickerem Stoff sich im Fahrtwind in der Seeluft bewegen. Zum Salz des Meeres, welches in der Atemluft hängt, mischt sich, je tiefer sie kommen und ebener die Aussicht wird, ein zarter Hauch von süßem Blumenduft, wie beides zusammen vermischt sich zu einem lieblichen, mediterranen Parfum, dass man für immer in seiner Lunge, Herzen und Gehirn behalten möchte.

 

 

"Wie könnte man so eine satte, betörende Air verflüssigen und in einem Kristallflakon aufbewahren?". Mit den Gedanken an schöne Dinge und Rätseln in ihrem Kopf lenkt sie sich vom Gewanke des vollbesetzten Busses ab, der nicht mehr so ganz alleine auf der Straße ist und die endlos, weite Aussicht auf den Meereshorizont von Halbinseln und Inseln unterbrochen wird.

 

 

Sie bemerkt, wie das tiefe, dichte Blau heller und klarer wird, an den Ufern türkis schimmert und an weniger dunkelgraue, meist fast weiße Steine nicht mehr mit Wucht und hohen, wilden Wellen anprallt, sondern leicht vor und zurück plätschert. Das Meer kommt greifbar nahe ans Fenster - Lilly packt schon mal ihre Tasche und Jacke auf ihren Schoß und ist gespannt, wie es ist, wo sie aussteigen wird.

 

 

In ihrem Alter von zwölf Jahren badet man sich noch in der Sicherheit der elterlichen Fürsorge, verlässt sich darauf, dass für alles gesorgt ist, wird wie von einer Geisterhand am Rücken durchs einfache Leben geschoben. Mehr Autos, mehr Menschen, Mopeds, hin und wieder ein Kiosk. Außer dem Busterminal, in den sie gleich eintreffen, gibt es eine Eisenbahnstrecke, die Pula mit Wien verbunden hat und von Kaiser Franz-Joseph mitsamt Hof-Zug befahren wurde.

 

 

Sie halten an, die Stimmen um sie werden lauter und bleiben unverständlich, wie schon im Bus. Ihre Mutter spricht auch nur ein paar Fetzen Kroatisch, die sie in ihrer Kindheit und Jugend aufgeschnappt hat und was sie nun in ihrer neuen Familie gelernt hat. "Schau dir das an.", sie geht näher an eine Tafel: "Dr H.C. Franz Karl Ginzkey.". Ihre Mutter zieht die beiden Koffer aus dem Rumpf des Busses. "Ja, und?". "Ja, nichts."

 

 

Lilly trägt ihren kleineren Koffer, der nicht schwer ist selber, wundert sich nicht: "Woher soll sie wissen, dass die Straße, in der ich jeden Tag zur Schule gehe und ein Drittel meines Lebens verbringe Ginzkey-Weg heißt?". Sie wusste wiederum nicht, dass der Dichter und Schriftsteller in Pula, also damaligen Pola geboren ist, was ihr in der ersten Geschichte-Stunde ein Plus im Klassenbuch ihrer Klassenlehrerin bringen wird.

 

 

"Und jetzt?". Sie stehen am Terminal und suchen den nächsten Bus der Stadtlinie, der sie zum Haus bringt, dass scheinbar an einer schönen Bucht liegt, wie sie es auf Fotos gesehen hat bisher. "Weg von der City?". Sie kaufen noch ein paar frische Brötchen, Früchte und Apfelschorle.". Nun ist Lilly bereit für die nächste Strecke.