Das Eine oder das Andere

 

 

Bis zum Jahreswechsel hat sie die Weltstadt Rom erobert. Die vielen Brunnen und Basilika, Torbögen und das Kolosseum sind Nachbarn geworden, an deren Kleidungsstil man das Wetter ablesen kann. Die Straßen sind nur noch Asphalt unter den Rädern des italienischen Gefährts und die Sprache nicht mehr so ein Geheimnis, wie zu Beginn ihres Aufenthaltes.

 

 

Sie bekommt Briefe aus Perugia, das ihren Bekannten aus Steyr zum Verweilen begeistert mit einem Foto beigelegt, dass eine Ansicht der Stadt und deren Bauweise rund um einen kleinen Berg zeigt, die historischen Steingemäuer verschmelzen mit der Farbe der Erde und betten sich in die umbrische Vegetation ein. Lilly informiert sich über Sprachkurse an der Dante Alighierie und schreibt sich für Englisch-Italienisch ein, weil es kein Deutsch-Italienisch gib. Nun sitzt sie an den Wochenenden in einem Hörsaal, wo Italienisch vorgetragen wird und sie über Kopfhörer auf Englisch mithören kann.

 

 

Das Pendeln mit dem Zug zwischen Rom und Perugia bringt zwar frischen Wind in den Aktionsradius, lenkt aber ein wenig von der eigentlichen Aufgabe der Kinderbetreuung ab. Zu alledem kommen immer wieder Briefe ihrer Schwester Isabella auf dem Kopfpolster ihres Zimmers in Monte Sacro an.

 

 

Die Texte sind so, als würden sie aus dem Mund der Oma kommen, doch sind die A4-Blockseiten aus Isabellas Schulblock und sie muss wahrscheinlich in einer Art Ansage niederschreiben. Lilly ist sich sicher, dass ihre 12jährige Schwester genug zu tun hat ohne sie, da ihre Oma von Vaterseite ein wunderbares Anwesen mit Garten hat, wo Isabella jederzeit zwischen Tieren und kleiner Landwirtschaft willkommen ist.

 

 

Sie fühlt sich ein wenig zwischen ruhigem, verstecktem Idyll Perugia, der wie ein Ameisenhaufen wurrelnden und feurigen Millionenstadt Rom und ihrem Zuhause in Österreich hin und her gezogen. Immer öfter will sie Sonntag Abend nicht mehr nach Rom zurück pendeln, das heimelige italienische Paradies mitten im Stiefel Italiens gewinnt Oberhand.

 

 

Sie beginnt, ihre Kleidungsstücke zu ordnen, vom rostroten Hochhaus in der halbmondförmigen Kurve inmitten der Apartmentanlage in Monte Sacro langsam Abschied zu nehmen, freundet sich mit dem Gedanken an, den Supermarkt zum letzten Mal zu besuchen, die vielen Brunnen und das mächtige Schultor, die Wasserbahnen und den Pferdesprungparcour im Olympischen Stadion nicht mehr zu sehen - genug der Geräusche der Großstadt, wenn am Land die Grillen zirpen und die Blätter der Bäume und Büsche vom leichten Wind bewegt rascheln.

 

 

Sich dorthin zu verlegen, hieße auch das Meer bei Rom zurückzulassen und dies ist auch dann der Grund nach einigen Wochen im sonnigen, grünen, bezaubernden, idyllischen Perugia in Umbrien die Sprachkurse und Italien ganz zurück zulassen und nach Hause zu fahren - in die eigene Welt, an die österreichischen Gebirgsseen, vielen Berggipfel und jüngeren, verspielten Häuserfassaden mit höchstens einer Kirche und einem Brunnen im Zentrum.