im sumpf der everglades

 

"Hast du ihm den Kieselstein zugeworfen?". "Nein, siehst du doch, dass ich den noch in der Hand habe.". Er hält die offene Handfläche in ihre Richtung. "Ja, dann hattest du zwei davon. Stell dir vor, dass bewegt sich, was machen wir dann?". Lilly steht wie gebannt in der Mitte einer Straße, die seitlich von zwei Metern abgemähtem Gras flankiert werden, auf dem ein Krokodil liegt - zwar gemütlich, aber ein bisschen ungewöhnlich ist das für Lilly nun schon so ganz ohne Zaun.

 

 

Sie befinden sich auf einem Spaziergang durch einen Naturpark in den Everglades in Florida. "Oh. Guck.". Sehr langsam öffnet das Urtier seine Beißklappen, die bis eben noch aufeinandergepresst und geschlossen waren, so dass man die ineinander verhakten, weißen Zähne außen sehen konnte. "Das ist doch mehr als zwei Meter lang.", staunt sie über die Größe des Tieres, dessen Schwanz leicht gebogen bis ins Schilf reicht und das Ende gar nicht sichtbar ist.

 

 

"Du hast ihn getroffen, gib es zu, sonst würde er sich nicht bewegen. Hauptsache er bleibt liegen jetzt.". Lilly merkt, wie die Personen vor ihr sich schon weit entfernt haben und hinter ihnen niemand nachkommt. Sie stehen also alleine mit dem Kroko am Straßenrand direkt vor ihm. Ihm ist das egal, er geht weiter - Lilly nicht. Sie starrt gebannt auf die regungslosen Augen und das geöffnete Maul. Sie beugt sich nach vorne. "Es hat ja nicht mal eine Zunge. Hallo! Wartest du auf mich?"

 

 

Sei es durch die Lautstärke oder sonst irgendwelchen Signalen, hebt das Kroko seinen Körper auf und steht nun auf vier Beinen. Lilly ist noch mehr erstaunt, weil sie noch nie gesehen hat, dass die kniehohe Beine haben und schaut und schaut. "Komm! Wieso stehst du da so lange?", ruft er vom Ende der Straße. Sie ist fasziniert - noch genau so lange, bis das Kroko zuschnappt und mit einem langen Satz von der einen Straßenseite zur anderen springt oder trippelt.

 

 

Sie sieht das nicht mehr so genau, weil sie mit Laufen und zwar sehr schnellem Laufen beschäftigt ist, während sie vor Schreck nicht mal Schreien kann. Nun kommt er ihr aber auch entgegen. "Geht's?". "Wow.". Sie atmet erst mal durch und kontrolliert, ob es hinter ihr ist. Ist es nicht, das Everglades-Kroko liegt wieder regungslos im kurzen Gras, aber nun auf der anderen Seite.

 

 

"Ist das normal, dass die hier frei rumlaufen - ich mein, es frisst mich vielleicht.", zittert sie noch ein wenig. Er lacht. "Naja, es hätte dich auch wieder ausgespuckt.". Jetzt lachen beide, aber sie wird das nicht mehr vergessen und er lässt die Steinchen fallen. Inzwischen ist es dunkel, doch am Ende der Tour gibt es immer noch viel zu sehen, zB. diese minikleinen, grün leuchtenden, giftigen Frösche die einfach auf dem Holz der Pfeiler der Informationstafel sitzen.

 

 

Ihr Auto ist das Letzte am Parkplatz und im Dunkel ist es auch nicht so einfach, auf den fremden Straßen wieder zum Hotel zurück zu finden. Eine hat die Karte und liest die Schilder, der andere fährt und hofft darauf, dass es klappt - auf dem breiten Highway in Florida.