IN DER HAUPTSTADT MAHARASHTRAS

 

 

Bombay, dass nun offiziell Mumbai heißt und die Hauptstadt Maharashtras ist und als wirtschaftliches Zentrum Indiens gilt, atmet indisch ein und britisch aus. Staubige Straßen und Wolkenkratzer treffen auf Villen im Kolonialstil, Wirtschaft, Produktion, Handel, Universitäten, Informatiker treffen auf Analphabeten, das Arabische Meer auf einen schmalen Landstreifen, auf dem das Zentrum dieser Weltmetropole mit 12 Millionen City-Einwohnern und insgesamt 28,4 Millionen Metropol-Einwohnern gebaut und nicht nur die größte Stadt in Indien, sondern auch die sechstgrößte der Welt ist.

 

 

Lilly kauft Souvenirs, Tücher und Geschenke für die Zuhausegebliebenen. Besonders angetan haben es ihr die farbigen, mit Strasssteinchen besetzten Elefantenfiguren, aber auch die bunten Fächer findet sie im tropischen Klima bei den hohen Temperaturen als sinnvoll. Kleine verzierte Seidentäschchen erinnern sie an die Geschenke, die sie als Kind von ihrer angeheirateten Tante, die zuerst in Köln, dann in Bonn lebt, bekommen hat, wenn diese von den Besuchen bei ihrer Familie in Indonesien zurückkehrte.

 

 

Auf den Fotos war das Haus mit Marmorausstattung mitten im Dschungel auf Stelzen und ihre große Familie zu sehen. Der Vater war Diplomat, sie ist nun auch an einem Amt tätig. Sita hat die weißesten Zähne und dunkelsten Augen, die Lilly jemals gesehen hat und das schärfste Essen. Zum Glück ist gerade kein Sommermonsun. Lilly kann sich gut vorstellen, dass dieser Regen die Stadt sauberwäscht, möchte es aber nicht unbedingt miterleben.

 

Sie hält eines der muschelverzierten, mit rotem Samt ausgelegten Kästchen in der Hand, die man wohl überall erstehen kann, wo es ein Meer mit Muscheln gibt. Dieses hat auch noch eine Herzform - mehr Kitsch kann es nicht mehr geben - sie muss es besitzen.

 

 

Sie lässt sich mit einer Autorikscha wieder zurück zum Hotel bringen, stellt ihre beiden, prallvollen, weißen Tüten in den Koffer im Schrank und genießt nicht lange die Klimaanlage, weil es an der Tür klopft und der Chauffeur wartet. Andre will ihr den Kirmes am Strand zeigen, wohin sich in der frühabendlichen Stimmung scheinbar ganz Mumbai auf den Weg macht, so voll, wie die Straßen  und Gehwege sind.

 

 

Als sie im Verkehr an einer Kreuzung zu stehen kommen, klopft ein Mütterchen an Fenster. Der Fahrer drückt die Zentralverriegelung in alle Türen. Sie alte Inderin trägt in staubige Lumpen gekleidet auf ihrem krummen Rücken einen weißhaarigen, missgebildeten Mann, der sich mit den verkürzten Beinen um ihre Hüfte festgekrallt hat. Lilly betrachtet erschrocken das furchige Gesicht mit vielen tiefen Falten des Hundertjährigen, dessen Kopf aufgeblasen aussieht, wie bei einem Wasserkopf.

 

Das Mütterchen klopft weiter an. "Schau nicht so hin.", ermahnt sie Andre und erklärt ihr, dass es hier Krankheiten gibt, von denen wir noch nie etwas gehört haben oder bei uns ausgestorben und weggeimpft sind. Die Alte geht barfuß und buckelig weiter zum nächsten Wagen.