ERSTES INTERESSE AM MITTELMEER

 

 

"Istrien, Kroatien, aber alles ist Jugoslawien.". Lilly versucht durchzublicken. Die Sprache der Großmutter, wenn ihre Zwillingsschwester oder jüngere Schwester zu Besuch sind und sie wollen, dass es sonst niemand verstehen soll ist jugoslawisch - sie sagen aber, dass es wiederum Unterschiede gibt, wie eben auch die Wiener den Kärntner oder Vorarlberger nicht so aufs Erste verstehen.

 

 

"Das Mittelmeer ist also Atlantischer Ozean und viele europäische Flüsse münden hinein.", so viel weiß Lilly schon mal aus dem Geografie-Unterricht bei ihrer Lieblings-Lehrerin Gunda M., wo sie gerade Europa durchnehmen. Was sie nicht im Schulbuch findet liest sie in Lektüren aus der Stadtbibliothek nach. "Maximale Tiefe: 5230 Meter im Calypso-Tief."

 

 

Lilly kommen Gedanken an wilde Wassertiere, die dort im Finsteren leben und weil sie sich nicht die Begeisterung für die Feriendestination nehmen lassen will, liest sie schnell weiter, öffnet die Tür zu ihrem Balkon, wo die Nachmittags-Sonne die grauen Steinfliesen aufwärmt und bis auf den wohlgesponnen, hellbeigen Teppich und den kuscheligen, kreisrunden Rattansessel mit hellem, empfindlichen Bezug fällt, der neben dem pastellbunten Sofa steht, über dem dieses kleine rosa Bild mit hellblauem Holzrahmen hängt, dass aus direkt aus dem Sarah-Kay-Buch entsprungen scheint, aber in Wahrheit ein Geschenk ihrer besten Schulfreundin ist und nun fix aber mit großem Abstand neben dem Marilyn Monroe-Pop-Art-Druck in Goldrahmen hängt, gegenüber der Pinnwand mit persönlichen Fotos und einer Tür, die mit Längen an aneinandergeklebten Ansichtskarten von oben bis unten bedeckt ist.

 

 

Dass es von Arabern und Afrikanern auch Weißes Meer genannt wird, findet sie sehr schön und auch dass es damals vor etwa 200 Millionen Jahren beim Auseinanderbrechen des Kontinents entstanden ist, wobei die im östlichen Mittelmeer erhaltene ozeanische Erdkruste mit einem Alter von 300 Millionen Jahre die älteste der Welt ist.

 

 

Erst 5600 Jahre v. Chr. wurde die Barriere zum Schwarzen Meer überschwemmt. Das ist ja im Vergleich zu den anderen Zahlen keine Zeit.". "Liilllyyy!!". Die Oma ruft die Treppe rauf. "Jaaa?", ruft sie zurück um ein paar Sekunden herauszuholen und den Satz fertiglesen zu können, bevor sie aufspringen wird und runterlaufen. "Essen ist fertig."

 

 

Es riecht nach Zwiebelrostbraten mit Sauce und Reis - da ist keine Zeit mehr für Lesezeichen, sie läuft mit dem Buch in der Hand auf den inzwischen mit einem Teppich in der Lautstärke gedämpften Treppen nach unten und genießt die Abfolge der Trittklänge, die trotzdem einen immer gleich abfolgenden Beat ergeben - rauf dann rückwärts.

 

 

Sie muss schnelle sein, denn die schönsten Fleischstücke sind meistens schnell vergriffen. Alle haben ihren fixen Platz, Lilly die lange Bank, wo sie links von sich das Buch vor dem Stapel Zeitungen in der Ecke ablegen kann und hin und wieder hinguckt, wenn das Essen ausgeteilt ist und die Salatschüsseln dabeistehen.